Freitag, 1. Mai 2015

Beltane

Beltane
Maibaum, Hexenfeuer, Tanz in den Mai...
Schlagworte, die Nele verwirrten, denn diese spiegelten in der heutigen Zeit nicht das wider, wofür Beltane ursprünglich stand. Ende des langen, kalten Winters. Beginn der Fruchtbarkeit, die auch in speziellen Ritualen ihren Ausdruck fand. Oder besser gesagt, der Begriff der Walpurgisnacht brachte die Konfusion. Schließlich war Walpurga eine katholische Heilige, die gerade mal als Pseudonym für diesen wunderbaren, heidnischen Brauch missbraucht wurde, wenn auch vormals heidnisch. Aber Nele liebte diesen Tag. Sie erinnerte sich an ihr erstes Beltane vor zwei Jahren. Ein unvergesslicher Abend und eine magische Nacht. Das Ende ihrer Jungfräulichkeit. Wollt ihr die Geschichte erfahren? Dann wischt eure Augen und versinkt in einer außergewöhnlichen Erzählung.

Nele ging auf eine Schule nur für Mädchen, die von Nonnen geleitet wurde. Brav und züchtig wuchs sie in all den Jahren heran. Sobald ein Junge ihr auch nur einen Blick zuwarf, wurde sie rot bis über beide Ohren. Dumme Gedanken kamen ihr in den Sinn,  sündige aufgrund der Erzählungen von Klassenkameradinnen, solche, die sie freiwillig beichten ging. Im letzten Schuljahr vor dem Abitur wechselte der Pfarrer. Der alte Herr war müde geworden, sich die schmutzigen Sünden seiner weiblichen Lämmer anzuhören. Der wohlverdiente Ruhestand rief laut nach ihm. Ein junger, drahtiger Priester folgte ihm. Ist es da ein Wunder, wenn die sündigen Gedanken keine Umwege mehr machten?
Auf jeden Fall erging sich Nele in Tagträumereien, in denen der neue Beichtvater die Hauptrolle spielte. Und die konnte sie auf gar keinen Fall beichten, zumindest nicht ihm. Jedes Mal, wenn Nele auf Pfarrer Aidan Blar stieß, wallte eine Woge heißen Feuers in ihr auf. Und er begegnete ihr oft, zwinkerte dabei verwegen mit einem Auge und hinterließ eine aufkeimende junge Frau, die nicht wusste, wohin mit ihren Gefühlen und Hormonen. Ihr Körper sehnte sich nach der Berührung, dem Spüren seiner Haut auf ihrer, obwohl sie noch nie auf einer derartigen Tuchfühlung mit dem anderen Geschlecht gewesen war. Zu schüchtern, zu fromm, zu unwissend. Nur ihre Hände verschafften ihr eine einsame Erleichterung.
Der Winter war gerade vorbei und auch Ostern. Endlich wollte die Natur wieder ihre Farben in die Welt schicken, ein Konzert aus tausend Stimmen verkündete das neue Leben, das jetzt wieder überall entstehen sollte. Blumen erblühen, die Bäume wurden grün und die Tiere balzten um einen Partner. Mal laut, mal leise, aber nur wenige blieben unerhört. Nele freute sich auf den letzten Tag im April, ihr Geburtstag und endlich ihre Volljährigkeit. Das Abitur war erfolgreich beendet, sie die Jüngste in der Klasse. Und Jahrgangsbeste. Denn bis auf ihre Wolkenschlösser war keine Ablenkung vorhanden gewesen, volle Konzentration auf das zu Lernende. Sie wollte nicht feiern. Einfach nur ganz ruhig ihren besonderen Tag genießen. Aber es kam anders, als sie sich vorgestellt hatte. Anders, als sie sich je hätte erträumen lassen.
Nele schlug die Augen auf und blinzelte in die junge Morgensonne. Das schien ein herrlicher Tag zu werden. Laut der Wettervorhersage waren warme Temperaturen gemeldet, bis 25°C. Schon fast Sommer. Gemütlich reckte und streckte sich die junge Frau. Schwang ihre Füße aus dem Bett und stand auf. Im Spiegel betrachtete Nele ihren nackten Körper. Er gefiel ihr, obwohl sie weder Sport machte noch auf ihre Ernährung achtete. Ein paar leichte Rundungen an den richtigen Stellen und trotzdem festes Fleisch. Heute war der Tag,  an dem die Vergangenheit Geschichte wurde. Sie ging in ihr kleines Badezimmer und nahm das ungewohnte Werkzeug zum Entfernen der Haare in die Hand. Sündig wollte sie sich fühlen, verrucht, und wenn es nur für diesen einen Tag war, den sie allein zu verbringen gedachte. Alle Haare fielen dem Rasierapparat zum Opfer. Nur ihr langes rotes Haar auf dem Kopf blieb verschont. Danach floss warmes Wasser über Neles Körper, glitten ihre Hände über die glatte Haut, zu bisher von fremden Händen unberührten Stellen. Hitze durchfloss ihren Leib und mit lautem Keuchen, schnellem Herzschlag, pulsierte in ihr die Lust zur Ekstase.
Nele verließ das Wohnheim, in dem sie,  wie viele andere Waisen und verstoßenen Mädchen wohnte. Nach einer Wanderung durch die kleine Stadt, kehrte sie in der kleinen Gaststätte am Waldrand ein.  Zur Hexenküche. Die Inhaberin war eine sehr nette ältere Dame, die alles frisch kochte und zu der sich Nele immer hingezogen fühlte, als Mutterersatz. Walburga war ihr Name, nach der Heiligen, die ihrem Geburtstag den Namen gab. Walburga hingegen hatte es gar nicht mit der Kirche, sie sagte, damit könne sie nichts anfangen. Die Natur sei ihre Religion. Leben und Sterben im Kreis der Jahreszeiten. An diesem Tag fiel der erfahrenen Frau die Veränderung auf, die sich im Inneren der jungen Frau abspielte. Als langjährige Seelenbegleiterin sah sie, dass Nele nicht nur bezaubernd aussah, sondern gerade an diesem Tag eine besondere Reife erlangte. Sie begann zu keimen, bereit zu sein, dem Lauf der Natur zu folgen. In Walburga entstand eine Idee.
Lange unterhielten sich die beiden Frauen, immer wenn Walburga Zeit neben den anderen Gästen fand. Bevor Nele sie verließ, gab die Wirtin ihr noch einen Trank. Er schmeckte leicht bitter, aber der Nachgeschmack war süß, so dass das Herbe sich verbarg. Nele ging in den Wald. Das Moos war schon gewachsen und Nele zog ihre Schuhe aus und lief barfuß über den weichen Boden. Wie im Sommer. Auf einer kleinen Lichtung legte sie sich in die Sonne, lupfte ihren Rock höher und sonnte ihren noch weißen Körper. Dabei schlief Nele tief und fest ein. So fest, dass sie erst im Dunkeln wieder erwachte. Aber es war warm. Nele schlug zum zweiten Mal an diesem Tag ihre Augen auf, nach einem erholsamen Schlaf. Alles war in Dunkelheit gehüllt. Ein bisschen Angst eroberte ihre Seele. Sie lauschte in den Laubwald hinein. Ab und zu ließ sich ein Knistern wie von einem Feuer vernehmen. Ein Knacken, als wenn jemand auf einen Ast tritt. Nele orientierte sich nach Ihren Ohren und ging langsam in diese Richtung. Plötzlich stoben Funken in die Luft. Also gab es das Feuer. Es wurde auch heller. Nele beeilte ihre Füße, um zu diesem Punkt zu gelangen. Dort hinter dem Felsen hatte jemand einen großen Stapel aus Holz errichtet. Die Flammen ergriffen Scheit für Scheit und wurden immer größer. Dabei erhellten sie die Umgebung.
"Hallo, Nele. Mit dir hätte ich hier nicht gerechnet ", sagte eine Stimme in Neles Rücken. Sie drehte sich erschrocken um. Pfarrer Blar stand hinter ihr. Unweigerlich entstand ein Kribbeln in ihrem Körper. Ein Magnet wollte sie zu ihm hinziehen. Dieser Mann sah einfach göttlich aus. Heute trug er nicht die übliche Soutane, sondern einen hellen Umhang, unter dem man weiter nichts erkennen konnte. Ein Liebestropfen rann aus der jungen Frau heraus.
"Ähm, hallo, Pfarrer Blar."
"Nein, heute Abend bin ich Aidan, das Feuer."
Das Kribbeln, die magische Anziehung wurde stärker.
"Was machen Sie hier?"
"Ich bereite Beltane vor. In einer halben Stunde treffen die übrigen Teilnehmer ein. Bleib doch auch."
"Beltane? Sie meinen Walpurgisnacht?"
"Beltane ist nicht wirklich die Walpurgisnacht. Das Fest ist viel älter. Älter als die Übernahme durch die Christen."
"Aber Sie sind doch Pfarrer. Wie können Sie an so etwas nur teilnehmen?"
Trotz der magischen Anziehungskraft funktionierte Neles Verstand. Nein, ein katholischer Priester durfte keine heidnischen Bräuche feiern, das passte nicht zusammen. Aidan Blars Gesicht zeigte ein Lächeln. Amüsiert über die junge Frau vor ihm. Wie dumm manche Menschen durch die Welt liefen. Die alten Bräuche waren immer im Herzen der Überlieferer, er war einer davon. Sie durften nicht verloren gehen, nur weil eine südländische Religion ihre als die bessere ansah. Damals wurde der Pakt geschlossen. Und so wie die Christen über Leichen gingen, um sich durchzusetzen, so infiltrierten die alten Priester mit auserwählten Personen die Reihen der Heiligen Mutter Kirche, teilweise im Kern. Aidan Blar war ein Nachfahre von keltischen Druiden und stolz darauf. Die Aufgabe im Kloster half ihm,  neue Mitglieder zu finden. Nele war eine von ihnen und wusste es noch nicht. Walburga hingegen war schon immer dabei.
Aidan hatte von Anfang an den willigen Charakter von Nele erkannt. Sie würde heute Abend die Königin werden. Das passende Opfer zum Sommerbeginn der Natur. Und er war der Ausführende der Zeremonie. Aber erst einmal müsste die Jungfrau, denn das war sie sicher noch, von dem Irrglauben befreit werden, dass das bevorstehende Fest eine Sünde sei. Aidan wusste, wie er das schaffen würde.

Immer noch fassungslos starrte Nele den Beichtvater an. Wie konnte er nur? Er hob die Hand und strich über die roten Haare, die im Feuerschein glänzten. Elektrisiert war Nele keiner Reaktion außer Staunen fähig. Sie spürte, dass sie eigentlich gar nicht mehr wissen wollte, warum und wieso. Anstelle dessen trat die Lust. Lust, den Mann vor ihr zu berühren, seine Haut zu streicheln. Ihr Unterleib sagte das Gleiche, forderte mehr. So legte Nele ihren Kopf in seine Hand und schaute verklärt in sein Gesicht. Ein zartes Lächeln strahlte ihr entgegen. Sie war bereit. So einfach, ohne große Mühe. Die beiden verharrten, aber ihre Herzen schlugen schneller, ihr Atem wurde lauter, das Verlangen aufeinander wuchs stetig.
Gesang näherte sich. Fröhlich und von sehr vielen Personen, Männer wie Frauen. Nele drehte sich um. Der Zug kam näher und in ihr Blickfeld. Alle trugen diese Umhängt, die auch Aidan trug. In ihren Händen hatten sie entweder einen kleinen Maibaum oder eine Fackel. Bunte Bänder schmückten beides.
"Komm, mach mit!"
Diesmal ließ sich Nele nicht lange bitten. Sie wollte auf die Nähe zu diesem Mann nicht verzichten. Gemeinsam betraten sie den jetzt gebildeten Kreis um das Feuer. Nele stimmte in den Gesang mit ein,  obwohl sie das gar nicht kannte, aber sie wurde von der Woge der Fröhlichkeit mitgerissen. Auch das Tanzen war wie im Blut verankert. Zeit und Raum wurden vergessen. Die anderen enthüllten ihre Körper, indem sie ihre Umhänge fallen ließen. Nackt tanzten und sangen sie weiter. Nele wurde hochgehoben und herumgetragen. Immer noch bekleidet, aber ihr Verstand war schlafen gegangen. Nur die Verbundenheit mit den Anwesenden zählte. Tranceartig war ihr Zustand. Auch ihre Kleider fielen und nackt wurde die Jungfrau dem Mann zur Vermählung gegeben. Tausend Hände strichen über ihren Leib. Ihre Knospen erhoben sich, wie die Knospen an den Bäumen. Ihr Fruchtquell begann zu sprudeln, bereitet für die kommende Vereinigung, das kommende Leben, die Frucht und später die Ernte. Aidan küsste seine Frau am gesamten Körper, seine Zunge eroberte ihren Mund. Nele vibrierte vor Verlangen. Die um sie herum tanzende Masse nahm sie nicht wahr, nur die Liebkosungen des Mannes, der sich anschickte, die endgültige Vereinigung zu vollziehen. Weit öffnete sie ihm das Tor zur Zusammenkunft. Und er betrat es, sanft und langsam. Die Menschen jubelten, sangen und suchten eigene kleine Nischen, um der Fruchtbarkeit zu huldigen. Aidan glitt sanft und ruhig. Er wusste, dieses Fest durfte er nur einmal im Jahr feiern. Nele schwebte dahin, in andere Sphären. Lust und Ekstase trieben sie dazu, sich seinem Takt anzupassen. Ihn herauszufordern. Ihn anzutreiben. Ihm den Saft des Lebens zu entlocken. Sie wurden eins. Eine reine Welle der Freude und Harmonie miteinander. Ihre Herzen schlugen im gleichen Takt, ihr Atem war im selben Rhythmus.
Der Puls schlug den Trommelwirbel und die Explosion geschah. Pulsierende Wogen verkündeten den Höhepunkt. Der Samen fiel auf fruchtbaren Boden,  so wie dies der Zweck des Festes war.

Nele wachte auf. Ihr war kalt. Vorsichtig öffnete sie ihre Augen. Um sie herum lagen weiße Umhänge, aber sie war allein. Nur der Rest des Feuers schwelte noch vor sich hin. Was war geschehen? Dumpf erinnerte sie sich. War nicht auch ihr Beichtvater hier gewesen? Oder hatte sie das nur geträumt? Mit steifen Gliedern erhob sich die junge Frau. Sie starrte auf ihren Rock, den ein getrockneter Blutfleck zierte. Es war kein Traum gewesen. Heimlich schlüpfte sie ins Wohnheim, um einer Entdeckung zu entgehen. Aber die Sittenwächterinnen waren aufmerksam. Nele musste, da jetzt volljährig und auch nicht mehr tugendsam, das Haus verlassen. Ihr Einwand, sie wisse nicht, wohin sie gehen solle, interessierte niemanden. Als ihr auf dem Weg der Priester begegnete, spie die gedemütigte Frau aus und schickte böse Blicke hinterdrein. Aidan fühlte sich unwohl, weil er an diese Konsequenz nicht bedacht hatte. So ging Nele mit gesenktem Blick aus dem Heim, durch die Straßen der Stadt. Wie durch einen Zufall gelangte sie zur Hexenküche. Walburga, ja, sie war doch auch in der Nacht dabei gewesen. Diese nahm Nele mit offenen Armen auf. Da Walburga aber auch zu dem alten Zirkel gehörte, lehrte sie ihrer jungen Schülerin das Wissen, damit sie es weiterführen könnte, an ihre Nachfahren.
Aidan Blar wurde versetzt, jemand aus dem Ort hatte ihn bei dem Treiben gesehen. Die katholische Kirche war unbarmherzig. Versetzung in ein Kloster, fernab der weltlichen Nähe. So erfuhr er nie, dass diese magische Nacht genau ihren Zweck erfüllt hatte, nämlich die Fruchtbarkeit, die Ernte war zu Imbolc, genau neun Monate später.
Nele konnte zu diesem Zeitpunkt nur fluchen, aber sie liebte ihre kleine Tochter abgöttisch. Der Kirche hatte sie längst den Rücken zugekehrt. So bekam die kleine Stina alte keltische Rituale anstelle der Taufe.
Dieses Jahr würde Nele wieder teilnehmen an dem Fest der Fruchtbarkeit. Dieses Mal wäre sie die Priesterin.

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