Sonntag, 21. Juni 2015

Heißer Wüstensand



Urlaub, allein schon dieses Wort weckt Erinnerungen. Schöne Erinnerungen. Wie vermisse ich diesen einen, ganz besonderen Urlaub, wie er nie wieder zu erleben sein dürfte.
Nun sitze ich hier in meinem heißen, stickigen Büro und starre aus dem Fenster auf die noch heißere Straße. Der Asphalt glüht und bildet in der nahen Ferne eine Art Fata Morgana. Fata Morgana und in der Wüste. Ich erinnere mich und versinke in die Vergangenheit.

***

»Katharina, kannst du dich nicht ein bisschen beeilen?«, schallt es an meine Ohren.  »Der Flieger wartet nicht auf dich.«
Immer dieses Gemecker meiner Mutter. Der hoffentlich letzte Urlaub gemeinsam mit meinen Eltern liegt vor mir. Wieso die unbedingt dieses Jahr nach Afrika wollen, keine Ahnung. Bisher waren die gemäßigten Zonen das Ziel. Die Temperaturen dort stellen wenigstens keine Umstellung dar.
Ich schwinge meine langen blonden Locken mit einem gekonnten Dreh nach hinten. Blonde Haare in gewissen Regionen der Welt haben einen Reiz auf die Männer dort, habe ich mir sagen lassen. Wir werden sehen. Obwohl, Mallorca wäre mir lieber gewesen. Da kenne ich mich aus. Auf meinen Pumps dackele ich meinen Eltern hinterher zur Gangway. Ich genieße die Blicke der Männer auf meinem Körper. Muss ich betonen, dass ich mich extra so gekleidet habe, dass allen die Augen rausfallen? Provokation auf der ganzen Linie. Nur wegen meiner Mutter, die denkt, ich bekomme nie einen Freund. In der Hinsicht bin ich auch noch Jungfrau. Aber die kleinen Spielchen unter uns Mädels, die reichen völlig aus. So zärtlich und doch bis zum Höhepunkt kommend. Wofür braucht es da einen Mann, der nur an sich und seine Befriedigung denkt? Zumindest nach dem, was meine Freundinnen mir so erzählen.

Ich sehe, dass meine Mutter grinst, als sie die Blicke sieht, die mir zugeworfen werden.
Ja, ich bin eine gute Ware, nicht wahr? Sie ist echt im falschen Jahrhundert geblieben. Am liebsten hätte sie jetzt schon Enkelkinder, obwohl ich gerade erst einmal mein Abitur in der Tasche habe. Schrecklich, diese Frau, aber ich liebe sie trotzdem.
Der Flug geht vorüber und ich steige aus dem Flugzeug in eine sengende Hitze. Gefällt mir gerade gar nicht. Aber ich kann auch nichts daran ändern. Geifernde Blicke fühle ich über meinen Körper gleiten. Meine blauen Augen funkeln etwas biestig zurück, was einige der Herren dazu animiert, mir unverhohlen Gesten anzubieten, die nur zu einer Sache bestimmt sind. Männer und Sex. Die denken echt nur mit ihrem Schwanz.

Die Fahrt zur Oase ist heiß und ich bin froh, als ich endlich in meinem voll klimatisierten Zimmer sitze, beziehungsweise dort unter die Dusche hüpfen kann. Meine Eltern haben ein Zimmer ganz weit weg von meinem. Dann habe ich wenigstens etwas meine Ruhe vor ihnen. Mitten im Nichts, in einer Oase, mitten in der ägyptischen Wüste. Obwohl diese ist ziemlich bebaut. Trotzdem.
Zum Abendessen ziehe ich mir ein tief ausgeschnittenes Kleid an. Aber als ich mich umschaue, nur ältere Ehepaare und keine Männer, mit denen ich meine Mutter ablenken könnte. Ach so, meinen Vater habe ich vergessen zu erwähnen. Natürlich ist er auch anwesend. Die Reise ist seine Idee, wie ich inzwischen weiß. Ein alter Jugendtraum, den er mit uns teilen will. Vier-Sterne-Hotel in der Wüste mit Spa. Eigentlich die Verschwendung schlechthin. Wenn man einmal bedenkt, dass Oasen immer schon Lebensquellen waren. Und jetzt wird hier verbraucht, was die Touristen von Zuhause gewohnt sind. Definitiv nicht meine Wahl.

Nachdem ich mich von meinen Eltern verabschiedet habe, gehe ich in mein Zimmer. Entkleide meinen Körper und lege mich auf das Bett. Im Gepäck habe ich meinen Vibrator. Meine Hände gleiten sanft über meine Brüste, spielen mit meinen Erhebungen. Ein Kribbeln durchläuft den gesamten Bauchraum, bis hinunter in den Unterleib. Dorthin wandert eine Hand. Sie streichelt dort über die nackte Haut meiner Lippen und berührt sanft meine Perle. Diese umkreisend werde ich unruhiger, ich will mehr. Der Vibrator hilft mir dabei. Stöhnend und keuchend strebe ich dem gewollten Höhepunkt entgegen. Als er mich erfasst, schwebe ich in den Himmel der Lust.

Meine Mutter hat einen Knall. Jetzt will sie eine Wüstentour mitmachen. Als wenn es nicht schon heiß genug ist. Nein, wir werden uns in Jeeps quetschen und durch den glühenden Wüstensand rollen. Verweigerung meinerseits wurde einfach ignoriert. Da ich hier ja, bis auf das einheimische Personal, keine Anbeter habe, die will meine Mutter dann wieder nicht, fahre ich notgedrungen mit. Dazu trage ich heute ein langes weißes Gewand, wie es hier üblich ist. Ich muss sagen, sehr angenehm auf der Haut und luftig. Es ist zwar etwas unpraktisch, damit in den Wagen zu steigen, aber es erfüllt seinen Zweck bestens.

Langweiligeres als Wüstensand und Sanddünen in Hülle und Fülle gibt es nicht. Ich schließe meine Augen und träume vor mich hin. Rund um meine Person unterhalten sich die Passagiere über dies und das. Plötzlich hält der Jeep. Unser Führer erklärt etwas auf Englisch. Den Anfang verpasse ich, weil ich noch in meinen Tagträumereien verweile. Meine Augen öffnen sich langsam. Als sie sich an die Helligkeit gewöhnt haben, sehe ich Felsformationen. Wir steigen aus und gehen dorthin. Abwechslung in dem Gelände, glatte Felsen, raue Felsen. Unser Führer erklärt uns die Gegend und zeigt, dass die Wüste nicht nur trocken ist. In einer kleinen Nische befindet sich Wasser. Klares, sauberes Trinkwasser, das ich hier so nicht erwartet hätte. Es schmeckt wunderbar und spült den Staub aus meinem Mund. Wir fahren weiter. Allerdings war diese Felsformation das Highlight.

Zurück im Hotel stelle ich mich kurz unter die Dusche. Ohne mich abzutrocknen, gehe ich in mein Zimmer. Der heiße Wind bläst hinein. Die letzten Wassertropfen verdunsten schnell auf meinem Körper und ich genieße es, wie der warme Hauch mich streichelt, unterstützt von meinen Händen. Da es bis zum Abendessen noch etwas dauert, lege ich mich auf mein Bett, immer noch unbekleidet. Und schlafe ein. Träume von einem Prinzen aus Tausend und einer Nacht, der mich entführt und zu seiner Frau macht.

Ein Klopfen an der Tür weckt mich auf. Meine Mutter, ungeduldig wie eh und je. Schnell streife ich das hier übliche Gewand über, von dem ich inzwischen drei Stück besitze. Darunter bin ich nackt. Der kühlende Stoff fühlt sich herrlich auf meinem Leib an. Im Speisesaal sitzen dieses Mal neue Gäste, obwohl, diese Bezeichnung passt nicht ganz. Denn es scheinen Einheimische zu sein. Ihre Sprache und Kleidung verraten es. Neugierig, wie ich bin, frage ich die Bedienung nach den fünf Männern.
»Das sind der Sohn von Abu Akim, dem Fürst eines Berberstammes hier in der Wüste und seine Begleitung.«
Ok, Fürstensöhne stelle ich mir anderweitig vor, aber wir sind ja nicht in Europa. So dürfen sie hier wohl landestypisch sein. Schwarze Kaftane, ein Tuch um den Kopf und dunkle Vollbärte unter schwarzen Augen. Unheimlich und gleichzeitig irgendwie magisch anziehend. Warum das so ist, weiß ich auch nicht. Einer der jungen Männer schaut ständig zu mir herüber. Sein Blick durchdringt mich und irgendwie fühle ich mich nackt. Was ich zumindest unter dem Stoff auch bin. Irgendwie erregt mich dieser Blick und mein Körper reagiert darauf.

Während des Essens kann ich mich kaum auf die Speisen konzentrieren. Immer wieder schweift mein Blick zu dem Tisch, an dem die Fünf sitzen. Jedes Mal trifft sich sein Blick mit dem meinen.
»Warum starrst du eigentlich ständig auf die Kerle da drüben?« Meiner Mutter entgeht einfach nichts.
»Ich finde es interessant, auch Einheimische hier zu sehen und nicht nur Europäer und Amerikaner. Sie bringen ein gewisses Flair in diesen Saal.«
Welchen Unsinn gebe ich da von mir? Flair? Das ist doch überhaupt nicht mein Sprachschatz. Meine Mutter verzieht das Gesicht.  »Das sind doch nur ungewaschene Barbaren. Nichts für uns. Halt dich bloß fern. Wer weiß, was die in Wirklichkeit hier wollen.«
Als ich zurück in mein Zimmer gehe, bemerke ich, dass mein Kaftan einen feuchten Fleck auf der Rückseite hat. Genau dort, wo ich auf dem Stuhl saß. Wie peinlich, hoffentlich hat das niemand gesehen.

Das Anliegen der Einheimischen erfahren wir am nächsten Morgen. Der Hotelmanager lädt alle Gäste ein, mit in das Lager von Fürst Abu Akim zu fahren. Meine Eltern haben sich für die Fahrt zu den Pyramiden angemeldet, wohin ich glücklicherweise nicht mehr mitfahren konnte, da alle Plätze ausgebucht waren. Sie stellen mir aber frei, in das Berberlager mitzufahren. Das klingt abenteuerlicher als das elterliche Vorhaben.

Wieder einmal fahre ich durch die Wüste. Nur sitzt mir dieses Mal der junge Mann mit Vollbart und seinen funkelnden schwarzen Augen gegenüber. Heißkalte Schauer laufen durch meinen Körper. Ich fühle mich angezogen, erregend angezogen. Ein absolut neues Gefühl. Männer haben das noch nie bei mir erreicht. Und jetzt sitzt mir einer einfach nur gegenüber und seine Augen dringen tief in meine Seele und entfachen ein bisher unbekanntes Feuer. Ehrlich gesagt, am liebsten würde ich mich auf ihn stürzen. Aber nein, das geht aus vielen Gründen natürlich nicht. Ob ich mich verliebt hatte?

Das Lager besteht aus unterschiedlich großen Zelten. Wir als Gäste des Hotels werden in das größte gebeten. Ich staune nicht schlecht, als ich eintrete. Außen ganz schwarz, so offenbart sich mir hier eine Ansicht, die ich so nicht erwartet habe. Bunte Teppiche, gemütlich aussehende Kissen und ein angenehmer Duft, der durch das komplette Zelt schwebt. Fürst Abu Akim kommt uns entgegen und begrüßt alle Neuangekommenen freundlich und lässt ein Glas Tee reichen. Anschließend lädt er uns ein, es sich auf den dargebotenen Flächen bequem zu machen. Währenddessen begrüßt er seinen Sohn. Der junge Mann, der meinen Körper so in Wallung versetzt hatte.

Es beginnen Gespräche, Smalltalk eben. Ich beteilige mich, um nicht den Anschein eines Mauerblümchens zu bieten. Fürst Abu bietet uns Gästen an, einmal auf einem Kamel zu reiten. Es zu lernen. Dieses Erlebnis möchte ich mir nicht entgehen lassen und sage zu. Als Jüngste komme ich in den Genuss, es selbst versuchen zu dürfen. Nicht nur aufsteigen und geführt werden, nein, richtig reiten und selbst die Führung übernehmen. Und es funktioniert. Das Wüstenschiff erhebt sich und folgt tatsächlich meinen Befehlen, die mir vorher mitgeteilt wurden.
Anschließend begeben wir uns zurück in das große Zelt, in dem inzwischen ein Abendessen angerichtet ist. Unbekannte Speisen, landestypisch. Plötzlich setzt sich jemand neben mich. Ohne seine Kopfbedeckung hätte ich ihn fast nicht erkannt.
»Hallo, mein Name ist Hassan. Ich gehöre zu diesem Stamm der Berber. Einer der letzten, die noch nicht ganz sesshaft sind.«
Verblüfft bemerke ich, dass Hassan mich auf deutsch angesprochen hat. 
»Ähm, ich bin Katharina«, stottert meine aus der Fassung gebrachte Stimme.
»Katharina, das ist ein schöner Name. Er gefällt mir.«

Wir kommen ins Gespräch, und aus dem anfänglichen Smalltalk wird ein tiefer gehendes Intermezzo, bei dem ich die Welt um uns herum ausblende und nichts mehr mitbekomme. Ich gebe zu, nachträglich, ich bin gebannt, verzaubert, verliebt. Meine Augen folgen seinen Lippen, meine Ohren lauschen dem melodischen Klang seiner Stimme und mein Körper verzehrt sich nach etwas, das er noch nicht kennt.
Manchmal berührt seine Hand leicht meine Haut. An diesen Stellen brennt es wie Feuer, nicht unangenehm, nur mehr wollend.

Hassan lädt mich ein, mit ihm den Nachthimmel über der Wüste zu betrachten. Zu diesem Zeitpunkt wäre ich ihm überall hingefolgt. Er reicht mir einen weiteren Umhang.  »In der Wüste ist es nachts sehr kalt. Im Gegensatz zur Hitze am Tag.«
In der Tat, während es im Zelt angenehm warm ist, empfängt mich kalte Luft, sobald wir das Zelt verlassen. Wir entfernen uns ein Stück vom Lager. Der Sand ist hart unter meinen Füßen. Schweigend gehen wir nebeneinander her, die nächste Düne hinauf. Dort setzen wir uns und schauen in den Sternenhimmel. Da hier die Straßenbeleuchtungen fehlen, kann man sehr viele Sterne betrachten. Die Milchstraße erscheint als ein leuchtend helles Band. Ich lege mich hin, um dieses Naturwunder besser anschauen zu können.
»Hast du einen festen Partner in Deutschland?«
Verwirrt blicke ich zu Hassan hinüber. Natürlich erkenne ich im Dunkeln nichts.
»Nein, warum fragst du?«
»Ich will einem anderen Mann nicht die Frau wegnehmen. Das gehört sich unter zivilisierten Menschen nicht.«
Jetzt bin ich noch mehr verwirrt. Was will mir Hassan damit sagen? Seine Hand kommt auf Tuchfühlung herüber. Meine innere Hitze brodelt noch immer und mein Körper kennt diese Situation und reagiert entsprechend. Ohne etwas zu sagen, wird Hassan mutiger und ich lasse es zu. Will das Gefühl kennenlernen, die Handlung, mit einem Mann, nicht immer nur mit meinen Freundinnen. Die Neugier über den Akt ist stärker als andere. Jedwede Vorsicht ist vergessen, als Hassan mich zu küssen beginnt. Wir verschmelzen miteinander, unsere Lippen pressen sich aufeinander und die Zungen spielen und tanzen. Auch seine Hände betasten meinen Körper. Vorsichtig und zärtlich. Sanft und schwebend, kaum wahrzunehmen und doch gleichzeitig sehr zielstrebig.

Ich gebe nach, in allem. Meine Hände krallen sich in den kühlen Wüstensand, als Hassan mich zur Frau macht. Der kurze Schmerz schwindet bald und eine wohlige Lust vermehrt sich. Die innere Hitze erzeugt Feuchtigkeit, die die Kälte der Nacht abkühlt.  Gänsehaut überzieht meinen Körper. Unser Atem geht immer schneller, der Puls ändert seine Frequenz. Wie auch immer Hassan das macht, wir verschmelzen zu einem Körper, einem Rhythmus, einem Eins. Über uns funkeln die Sterne, als würden sie Beifall klatschen. Eine wunderbare Erfahrung. Ich schließe die Augen und bunte Sterne wirbeln vorbei. Mein Mund öffnet sich und will die Freude über das Erlebte in die Wüste schreien, aber Hassan legt seine Lippen darüber und erstickt die Laute mit einem Kuss. In mir spüre ich ein Pulsieren. Nicht nur meines.

Leicht ermattet bleiben wir noch ein wenig nebeneinander liegen. Die Umhänge wärmen unsere Körper, die noch immer sehr erhitzt sind und feucht. Plötzlich wird mir bewusst, dass ich alles das getan habe, was ich nie wollte. Ein Wildfremder, keine Verhütung, meine Jungfräulichkeit vor der Ehe verschenkt oder besser, vor der Verlobung, denn so lange wollte ich warten.
»Ich liebe dich, Katharina«, umschmeicheln mich Hassans erste Worte nach dem Akt. Ich bin noch immer dabei, Klarheit zu finden.
»Lass uns bitte zurückgehen«, bitte ich deshalb. Hassan bringt mich schweigend zu dem Zelt, in dem ich schlafen soll.
»Katharina, bitte. Was habe ich falsch gemacht? Seit ich dich das erste Mal im Speisesaal des Hotels sah, wusste ich, du bist die richtige Frau für mich. Mein Bauch hat mir das gesagt. Meine Mutter hat mich bestärkt, als ich heute mit ihr darüber sprach.«
»Lass mich bitte alleine, wenigstens jetzt für den Moment. Für mich kommt das alles zu überraschend. Ich muss darüber nachdenken. Morgen früh sprechen wir. Bitte.« Flehend sehe ich im Lampenschein in seine dunklen Augen.
»Schlaf gut, meine schöne Braut.«
Hassan dreht sich um und geht, ohne eine Antwort zu erwarten. Schnell schlüpfe ich in das für mich bereitgestellte Zelt. Hier umfängt mich eine wohlige Wärme, während ich zittere. Nicht nur wegen der Kälte, sondern auch wegen dieser Situation. Was soll ich tun? Niemand ist in der Nähe, den ich fragen könnte. Meine Eltern sitzen jetzt in Abu Simbel und schauen sich den Sternenhimmel dort an. Ich bin allein. Allein und keine Jungfrau mehr. So ein Mist. Als ich mein Gewand ausziehe, erblicke ich einen dunklen Fleck. Noch mehr Mist. Ich habe kein Weiteres dabei und was jetzt? Wie bekomme ich den wieder raus? Aber darüber kann ich nicht mehr nachdenken. Absolut übermüdet krieche ich in die Decken und schlafe ein.

 Als ich erwache, ist es schon hell.  Schade, dass die Sonne nicht durch ein Fenster hereinstrahlt und meinen Körper streichelt, so wie Zuhause. Meine Augen erforschen den kleinen Zeltraum. Irgendwie fehlt etwas, ich komme nur nicht darauf, was es ist. Bis es mir klar wird, mein Gewand ist weg. Ich liege hier nackt unter einer Decke und habe nichts mehr zum Bekleiden. Wer zum Teufel hat es mir weggenommen und wieso? Klar, mit dem Fleck könnte ich es derzeit eh nicht tragen, aber einfach so entfernen? In die Decke gewickelt stehe ich auf und blinzle aus dem Zelt. Draußen herrscht schon reges Treiben. Berber sind keine Langschläfer. Aber würde ich so leben wollen? Gut, Hassan hat mich jetzt nicht explizit gefragt. Seine Äußerungen von letzter Nacht lassen dies vermuten. Für mich beschließe ich, dass das nichts für mich ist. Was nun?

Vor meinem Zelt liegt wiederkäuend ein Kamel und glotzt mich an. Ohne weiter darüber nachzudenken, renne ich das kurze Stück auf es zu und schwinge mich auf seinen Rücken. Die Befehle des gestrigen Tages sind noch immer in meinem Kopf. Mein Vorhaben gelingt. Das Tier erhebt sich schwerfällig und kaum auf allen Vieren, treibe ich es an und spurtet mit mir in die noch kühle Wüste. Hinter meinem Rücken höre ich entsetzte Rufe. Bloß weg hier, das ist mein einziger Gedanke. Während des Kamelgalopps löst sich unbemerkt die Decke und fliegt einfach so hinunter. Bleibt im Sand liegen, das Wüstenschiff trägt mich weiter in die Sanddünen, auf denen der Sand rieselt und vom leichten Wüstenwind davongetragen wird. Unsere Spuren verschwinden.

Plötzlich bleibt das Kamel ruckartig stehen. In hohem Bogen fliege ich in den Sand. Noch einmal glotzt es auf mich herunter, dreht sich um und läuft in die Richtung, aus der wir kamen. Nun liege ich hier, was nun gar nicht toll ist. Mein Körper schmerzt vom Sturz, gebrochen scheine ich mir aber nichts zu haben. Langsam rappele ich mich auf und beginne, loszulaufen.

Ich laufe schon seit geraumer Zeit durch den heißen Sand. Mein Körper ist der sengenden Sonne gnadenlos ausgesetzt. Nackt und rot brennt die Haut und der feine Sand schmirgelt durch den Wind an ihr. Wie dumm bin ich gewesen? Allein die Idee, mich auf ein Kamel zu schwingen und abzuhauen, lässt mich stark an meinem geistigen Zustand zweifeln. Aber hätte ich denn bleiben können? Das, was von mir verlangt wurde, war einfach ungeheuerlich. Nicht mit mir selbst zu vereinbaren. Da schien die Flucht das kleinere Übel. Das Biest von Kamel rannte hinaus in die Wüste und warf mich irgendwann einfach ab. Als ich wieder klar denken konnte, war es schon nicht mehr zu sehen.
Es ist heiß. Ich glaube, die Hölle ist kalt dagegen. Meine Füße beginnen, mir den Dienst zu verweigern. Aber ich sehe da vorne Felsen. Hoffentlich keine Fata Morgana, wie man sie hier so oft sieht, die Luft einem etwas vorgaukelt. Bis dorthin muss ich es schaffen. Da ist Schatten, wenigstens der. Vielleicht habe ich Glück und es ist einer dieser Felsen, an denen man Wasser findet. Meine Zunge ist ein trockener Lappen in meinem Mund. Das dicke Blut dröhnt mit jedem Herzschlag in meinen Ohren. Ich muss es schaffen. Der Sand ist ein Feind meiner nackten Füße, heiß und rubbelnd. Ich zwinge mich weiter, Schritt für Schritt. Ich muss es schaffen. Tranceartig wiederhole ich meine Litanei. Rechter Fuß, linker Fuß. Das Denken fällt mir immer schwerer. Sie sind zum Greifen nah, die Felsen. Ich falle hin und verschwinde in einem schwarzen Loch meines Verstandes.

*** 

Immer noch starre ich in die Fata Morgana. Die Luft flimmert und Autos tauchen auf. Eins nach dem anderen fahren sie die Straße entlang, an meinem Fenster vorbei. Wehmut erfüllt mein Herz. Drei Jahre ist dieser Urlaub jetzt her. Drei Jahre, in denen ich darüber nachdachte, ob es eine Zukunft für mich und Hassan gegeben hätte.

Die Felsen, die ich erreichte, waren die von der Tour mit meinen Eltern. Es gab Wasser, das mir jemand einflößte, weil mein Körper es nicht mehr schaffte und kurz vor dem Ziel zusammenbrach. Langsam kam ich damals zu mir, zurück in die Welt. Mein Körper brannte und es dauerte eine Zeit lang, bis die Haut zur Ruhe kam. Meine Eltern machten sich Vorwürfe, weil sie mich damals alleine ließen. Da unser Urlaub sich auch dem Ende zuneigte, sah ich Hassan nie wieder. Aber Erinnerungen bleiben und ich bin froh darüber.

Zuhause begegnete mir dann Johannes, ein ganz lieber junger Mann, der mich etwas an Hassan erinnerte. Wir sind glücklich miteinander, so scheint es nach außen. In mir frisst diese Erinnerung. Was wäre, wenn ich geblieben wäre?

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